Die Zeit ist reif für eine größere Veränderung im Kloster Dhammapala … Nach der diesjährigen Kathina-Feier am 28. Oktober werde ich das Führungszepter an meinen Nachfolger weiterreichen. Insgesamt habe ich dann 22 Jahre in verschiedenen Positionen im Kloster am Waldrand verbracht. Nachdem ich zum ersten Mal als siebenjähriger Mönch (nach sieben Vassa oder Regenzeiten!) aus England kommend 1993 in der Schweiz gelandet war, bestand meine Aufgabe zunächst darin, den damaligen Abt Ajahn Thiradhammo zu unterstützen, und zwar in der traditionellen Rolle des zweiten Mönchs. Daran anschließend folgte ein vierjährigerAufenthalt in Asien – hauptsächlich verbracht in Thailand, aber auch zum Teil in Myanmar und Indien – ehe ich mich gegen Ende 1999 wieder dem Sangha in Dhammapala anschloss. Während der ersten fünf Jahre im neuen Jahrtausend kristallisierte sich dann ein dreiköpfiges Führungsteam heraus, bestehend aus Ajahn Thiradhammo, Ex-Ajahn Akincano und mir selbst, mit Ajahn Thiradhammo als nominellem Abt des Klosters. Mit dem Entroben von Akincano und dem Umzug von Ajahn Thiradhammo nach Neuseeland im Frühjahr 2005 ergab sich eine völlig neue Situation für mich: Ich fand mich in der Rolle des alleinigen Leiters des Klosters wieder. Da die Übernahme der Führung das Ergebnis einer ganz bewussten Entscheidung war – vorab mit Bedacht verhandelt und dann mit voller Unterstützung des erweiterten europäischen Sangha – entwickelte sich dieses anfangs noch herausfordernde Experiment für mich mehr und mehr zu einer bereichernden, dankbaren und lohnenden Aufgabe. Da es sich beim Kloster Dhammapala nicht um die Behausung einer Eremitengemeinschaft handelt, sondern um einen Ort, der von vielen Menschen als Zufluchts- und Praxisort genutzt wird, ist es nur während der offiziellen Klausurzeiten (Retreat) möglich – also insgesamt ca. vier Monate pro Jahr – einen eher zurückgezogenen Lebensstil zu leben. Der Hauptfokus während der übrigen Zeit lag neben der persönlichen kontemplativen Praxis beständig auf der Unterstützung der klösterlichen Mitbewohner und der mit Dhammapala verbundenen Laiengemeinschaft, sowie der Instandhaltung des Klosters (Reparaturen, bauliche Erneuerungen, administrative Pflichten etc.). Solch ein Lebensstil entspricht nicht unbedingt exakt den Vorgaben, die wir aus den frühen buddhistischen Texten kennen, worin die Betreuung einer komplexen Klosterinstitution nicht als vordringlichste Aufgabe eines Mönchs angesehen wurde, eben auch weil solche Klöster damals gar nicht existierten. Aber die Zeiten ändern sich. Vor allem aber ändern sich immer wieder die kulturellen Milieus, in denen der Buddhismus im Laufe der Jahrhunderte – und in der westlichen Welt vermehrt in den vergangenen sechs Jahrzehnten – Einzug gehalten hat. Neue kulturelle Umgebungen erfordern immer auch eine angemessene Antwort von Menschen, die in der Lage sind, über die veränderten äußeren Bedingungen weise zu reflektieren. Diese Erwiderung kann sehr unterschiedlich ausfallen. Die einen mögen sich weiterhin sehr eng an traditionellen Vorstellungen aus buddhistischen Kulturen festhalten, während die anderen dazu neigen, alles kulturell Befremdliche und nach ihrer Meinung Veraltete aus dem Fenster zu werfen. Jemand, der weise reflektiert, wird sich dagegen ernsthaft die Frage stellen, ob es auch in einem klösterlichen Lebenszusammenhang, der komplexer ist als der vor 2500 oder sogar nur vor 100 Jahren, möglich ist den Weg der Transformation des Herzens zu gehen.
Als ich den Lehrdarlegungen unseres Lehrers Ajahn Chah zum ersten Mal begegnete, war ich von der Art und Weise sehr beeindruckt, wie er neuen Umgebungen und Mentalitäten während seiner Reisen in die westliche Welt gegenübertrat. Es bestand immer eine große Offenheit gegenüber den unterschiedlichsten Menschen, ein echtes Interesse an den ungewohnten sozialen Umständen, aber auch ein weises Anerkennen der unterschiedlichen kulturellen Konditionierungen, mit denen wir alle zu tun haben, egal ob im Osten oder Westen. Er war lebendiges Beispiel dafür, dass die Anwendung buddhistischer Tugenden und Praktiken nicht auf eine bestimmte kulturelle Umgebung beschränkt sein muss, sondern überall und jederzeit möglich ist. Es setzt allerdings voraus, dass man bereit ist, Weisheit direkt anzuwenden. Viele dieser wahrgenommenen Unterschiede gaben Ajahn Chah reichhaltiges Anschauungsmaterial für seine Lehrvorträge, in denen er oft auf die Relativität kultureller Prägungen hinwies und auf die Sinnlosigkeit, sich an diesen blind festzuhalten. Er traf die Unterscheidung zwischen der herkömmlichen Realität bestehend aus den mentalen Gewohnheiten unserer Persönlichkeit, die sich je nach Ort und Zeit in einem ständigen Wandel befindet, und der ungeborenen, unsterblichen Realität, die sich niemals verändert und auf die auch der Buddha in vielen Lehrdarlegungen beständig hingewiesen hatte.
Dhammapalas zukünftiger Abt Ajahn Abhinando lebte fünfzehn Jahre im Kloster Aruna Ratanagiri im Nordosten Englands, ehe er im vergangenen Jahr in die Schweiz kam. In England unterstützte er in seiner Rolle als zweiter Mönch sowohl den dortigen monastischen Sangha als auch die erweiterte Laiengemeinschaft (eine Kurzbiografie von ihm finden Sie hier). Im November dieses Jahres die Führungsrolle einer kleinen klösterlichen Gemeinschaft in den Schweizer Alpen zu übernehmen, stellt eine Herausforderung dar, auf die er sich freut und für die er sich jetzt bereit fühlt. Sein Aufenthalt in Dhammapala seit Juli 2017 bot ihm bereits reichlich Gelegenheit, sich mit dem neuen sozialen Umfeld und der konkreten Umgebung vertraut zu machen. Es war für uns beide sehr wichtig, dass die Übergabe der Pflichten des Leiters eines Klosters graduell statt sehr plötzlich und abrupt geschehen würde. Und diesbezüglich haben sich die Dinge in der Zwischenzeit sehr gut entwickelt …
Was mich selbst und meine Zukunft angeht: Meine Absicht ist es, mindestens ein Jahr lang vom Kloster Dhammapala Abstand zu nehmen, mit der Option im Jahr 2020 zurückzukehren, sollten die karmischen Winde mich wieder in diesen Teil der Welt führen. Ich werde ganz gewiss nicht in die altbekannte Rolle innerhalb der Gemeinschaft zurückkehren, sondern würde eher einen Platz im Hintergrund des Klosterzusammenhangs bevorzugen. Im Jahr 2019 beabsichtige ich längere Aufenthalte in verschiedenen europäischen Klöstern zu verbringen, zunächst einmal bis Mitte Mai 2019 im italienischen Kloster Santacittarama, etwa 50km nordöstlich von Rom. Ab Frühling 2019 sind auch ein paar Lehrveranstaltungen geplant, die ich aber allesamt außerhalb der Schweiz anbieten werde. Ich freue mich auf dieses neue Kapitel in meinem Leben als buddhistischer Mönch und bin gespannt darauf zu erfahren, wie ich auf die Unsicherheit reagieren werde, während eines längeren Zeitraums ohne ‘Heimatkloster’ zu sein, was Dhammapala ja in den vergangenen 22 Jahren für mich gewesen ist.
Ajahn Khemasiri