Eine weitere klösterliche Regenzeit (Vassa) ist soeben zu Ende gegangen, allerdings eine recht sonnige, und für mich persönlich war es die 34. insgesamt. In diesem Jahr hatte ich mich für das Kloster Tisarana in Ontario/Kanada entschieden. In diese kanadische Provinz im Südosten des Landes würde die Schweiz flächenmäßig 25 Mal hineinpassen! Die Einladung dorthin kam von Ajahn Viradhammo, dem Leiter des Klosters, und durch freundliche Ermutigungen zweier seiner Juniormönche. Eine gute Wahl, wie sich schon sehr bald herausstellen sollte, innerhalb einer harmonischen Gemeinschaft von sechs Bhikkhus, drei Samaneras und einem Anagarika.
Der erste Monat hatte allerdings durchaus auch seine Herausforderungen. Ich kam Mitte Juli während einer Hitzeperiode im Südosten Kanadas an und wurde sogleich mit den sommerlichen Plagegeistern, die den hiesigen Wald bevölkern, vertraut gemacht: Eine äußerst penetrante Bremsenart (deerfly), die sehr gern im Trupp in Körperöffnungen hineinkriecht; Moskitos, die ihren üblichen Lieblingsaktivitäten nachgehen und Blut zapfende Zecken, deren Biss bekanntlich zu sehr unangenehmen Krankheiten führen kann. In diesem Jahr waren in Tisarana gleich drei Mönche an Borelliose (Lyme-Krankheit) erkrankt! Es hat trotz der notwendigen Vorsichtsmaßnahmen eine Weile gedauert, bis ich mich auf diese Wesen angemessen eingestellt hatte. Zugleich war es eine wunderbare Einführung in das Thema, wirklich ausnahmslos mit allen Lebewesen friedvoll zu koexistieren.
Es gab allerdings auch Wesen auf dem Klostergelände (Streifenhörnchen, Waschbären, Stachelschweine, Biber, viele Vögel etc.) deren stetige Präsenz eher erfreulich war und von denen mir vor allem die Rehe wegen ihrer mangelnden Scheu vor uns Menschen immer mehr ans Herz wuchsen. Sogar ein Schwarzbär ließ sich ein paar Mal während der Blaubeerenzeit im Klosterwald blicken und scheute sich nicht, seinen Riesenkopf sogar vor das Fenster einer Mönchshütte zu halten. Kleiner Schreck zur Morgenstund!
Über einem 6 km langen See, der direkt ans Klostergrundstück grenzt, flog regelmäßig ein Weißkopfseeadler (bald headed eagle) mit seinem Sprössling seine Runden, und auch einen Fischadler (osprey) konnte man ab und an beim Ziehen seiner eleganten Kreise beobachten. Der See diente zusätzlich der Klostergemeinschaft als wichtige therapeutische Ressource, um die wunderbare Weite und Stille der kanadischen Landschaft zu genießen. Dafür stehen den Mönchen ein paar Kanus und Kayaks zur Verfügung.
Wie es der Zufall wollte, weilte auch Luang Por Sumedho während des gesamten Monats Juli in Tisarana. Wie gewohnt zog er eine Vielzahl Besucher an, die sich an seinen fast täglichen Dhamma-Reflexionen erfreuten. Auch sein 85. Geburtstag fiel in diesen Zeitraum und wurde selbstverständlich gebührend gefeiert, wie sich das für jemanden eben gehört, der im Sternzeichen Löwe geboren ist.
Während der sommerlichen Regenzeit hatte ich außerdem Gelegenheit, ein Zweigkloster unserer Ordenslinie in New Hampshire/USA zu besuchen (Jetavana Temple Monastery) und ein Bhikkhuni-Kloster (Satisaraniya) direkt in der Nachbarschaft von Tisarana. Die beiden Führungspersonen dieser Klöster – Ajahn Jayanto und Ayya Medhanandi – kenne ich bereits seit meiner frühen Mönchszeit in den 80er und 90er Jahren in England. Ich habe mich sehr gefreut zu sehen, wie sie beide auf ihre eigene Weise einer lebendigen und freundlichen Gemeinschaft vorstehen. Zum Kloster Jetavana war ich anlässlich einer Aufnahmezeremonie in den Bhikkhu-Orden eingeladen, was nicht nur für die neuen Ordensmitglieder immer ein sehr spezieller Anlass ist.
Im September bekamen wir in Tisarana Besuch von Margrit Wilkins, der Pionierin und allerersten Sekretärin im Klosterbüro von Dhammapala (von 2002 bis 2011), die seit einigen Jahren in Detroit lebt. Sie kam mit ihrem Mann Eric und schien große Freude zu haben, nach langer Zeit mal wieder ein langes Wochenende in einem richtigen Waldkloster verbringen zu dürfen. Da lag die Idee nahe, ihr in ihrer neuen Umgebung einen Gegenbesuch abzustatten, was schließlich im Oktober geschah. Nach so viel Natur, Stille und Beschaulichkeit mal wieder in eine Großstadt einzutauchen, ist ein ganz spezieller Test im Hinblick darauf, wie sehr man an der beschaulichen äußeren Atmosphäre eines Klosters hängt. Doch ich überrasche mich dabei immer wieder selbst, wie unkompliziert solche Wechsel der Umgebung sein können. Allerdings sind Aufenthalte in großen Metropolen für mich immer nur von vorübergehender Dauer … Auf jeden Fall befindet sich Detroit eindeutig im Aufwind. Die Wahrnehmungen einer verlassenen und heruntergekommenen Stadt treffen augenscheinlich nicht mehr länger zu. Und Margrit – ursprünglich aus dem abgelegenen Bergdorf Mürren im Berner Oberland – trägt ihren aktiven Teil dazu bei, dass Detroit wieder zu einer lebenswerten Großstadt wird.
Mein klösterlicher Alltag in Tisarana während der Vassa bestand normalerweise morgens aus Korrekturarbeit an einem Übersetzungsprojekt der gesammelten Vorträge von Ajahn Chah. Da man mir in Tisarana einen sehr großzügigen Freiraum anbot, konnte ich meine Zeit problemlos aufteilen zwischen dieser morgendlichen Textarbeit und persönlicher Qualitätszeit am Nachmittag in einer Kuti im Wald.
Wir haben das Ziel, sämtliche 58 Vorträge bis zum Sommer 2020 komplett zu übersetzen und zu korrigieren. Wolfgang Neufing, der deutsche Übersetzer, ist ungemein fleißig, und somit ist dieses Ziel durchaus realistisch. Ein ungarischer Mönch aus unserer erweiterten Gemeinschaft hat sich bereit erklärt, ab Sommer 2020 dann eine E-Book Version der gesammelten Vorträge zu erstellen. Wir können uns also schon jetzt auf ein ansprechendes Endprodukt freuen.
In den letzten Wochen vor meiner Rückkehr nach Europa wurden wir hier in Ontario nicht nur mit herrlich sonnigem Wetter gesegnet, sondern auch von den farbenfrohen Veränderungen in den Wäldern um uns herum inspiriert. Wenn ein Umgebung in diesem Jahr die Bezeichnung „goldener Oktober“ verdient hatte, dann war es in der Tat der Südosten Kanadas.
In diesen Wochen kristallisierte sich gleichzeitig heraus, wo ich bis zu meiner Rückkehr nach Dhammapala im April 2020 meine Zeit verbringen werde: Ich entschied mich dafür, die kommende Winter-Rückzugszeit im Kloster Amaravati in England zu verbringen. Auch von dort lag eine äußerst warmherzige Einladung vor, die ich gern dazu benutzen möchte, wieder in näheren Kontakt mit dem erweiterten britischen Sangha zu treten – Brexit hin oder her.