Nach einem halben Jahr der Beständigkeit im Kloster Santacittarama in Italien – inklusive des üblichen Winter-Retreats – begann für mich ab Mitte Mai 2019 eine Zeit der äußeren Bewegtheit.
Dieses erste halbe Jahr an einem Ort seit meinem Abschied aus der Schweiz war wichtig, um mir die Bedeutung und Auswirkungen meiner letztjährigen Lebensveränderung (Aufgabe der Abtrolle in Dhammapala) wirklich bewusst zu machen. Ich bin daher sehr dankbar dafür, dass man mir in Santacittarama einen großzügigen persönlichen Freiraum anbot, um mich an das neue Lebensgefühl zu gewöhnen. Im etwas separat gelegenen Nirodha-Haus des Klosters fand ich die dafür ideale Abgeschiedenheit vor.
Der Rollenwechsel innerhalb des Ordenslebens bot mir anschließend ebenfalls die Gelegenheit, schon seit langem anstehende Einladungen an verschiedenen Orten in Europa zu akzeptieren, denen ich vorher oft aufgrund der Gebundenheit an meine ehemalige Führungsrolle nicht nachkommen konnte. Nach dem Abschied aus Santacittarama war die erste Station auf meiner zweimonatigen Reiseroute ein verlängertes Wochenende in der Anenja Vihara im Allgäu. Nach einem massiven personellen Umbruch in diesem Bhikkhuni Kloster zwischen 2016 und Ende 2017 steht das Kloster seit April 2018 unter neuer Führung von Ayya Phalanyani, einer Nonne, die ihr bisheriges Klosterleben vorwiegend in Nordthailand (Chiang Mai) verbracht hatte. Seit meinem letzten Besuch dort im Jahr 2016 hat sich dort also eine Menge getan. Es war erfreulich zu sehen, dass sich in der Zwischenzeit unter Ayyas Führung eine harmonische, kleine Nonnengemeinschaft gebildet hat und ein frischer, freundlicher Wind durch das Kloster weht.
In direkter Nachbarschaft zur Anenja Vihara und nur einen Fußmarsch entfernt liegt das Buddha Haus – in den späten 80er Jahren von Ayya Khema als buddhistische Gemeinschaft gegründet – das jetzt ausschließlich als Retreat-Zentrum fungiert. Gemeinsam mit einer sehr engagierten Gruppe von Männern und Frauen kontemplierten wir das Thema der vier Brahma Vihara, der unermesslichen oder grenzenlosen Herzensqualitäten. Überrascht hat mich – nach der gelungenen Neugestaltung und Vergrößerung des Hauses – der Licht durchflutete Meditationsraum, die perfekte äußere Umgebung für das Erforschen der unbegrenzten Aspekte unseres Herzens. Da war es nur naheliegend, nach Ende des Kurses auch noch der Metta-Vihara einen Besuch abzustatten, die sich ebenfalls im Allgäu befindet, um den freundschaftlichen Kontakt zum dortigen Leiter, dem ehrwürdigen Nyanabodhi aufzufrischen.
Die nächste Etappe meiner Reise brachte mich in drei europäische Metropolen: Zürich, Berlin und Paris. In Zürich lag der Schwerpunkt auf einer Wiederverbindung mit einer Gruppe von Menschen, die allesamt dem Kloster Dhammapala nahestehen. Wir benutzten dafür das eher lockere Format eines Wochenend-Retreats mit einer gesunden Mischung aus Meditationen, Dialogen, Spaziergängen inklusive der wichtigen undefinierten Zwischenräume. Das Berliner Programm war sehr vielfältig und bestand aus Begegnungen mit alten Freunden, einem deutschstämmigen Mönchsfreund aus Australien, einer ehemaligen Nonne und meiner eigenen Schwester. Auch der formelle Teil kam nicht zu kurz in Form eines Dhamma-Abends in einer psychotherapeutischen Praxis. Als kleines zusätzliches Highlight wurde ich zu einem Wochenende an den Müritzsee eingeladen, sehr passend zu Beginn der ersten diesjährigen Hitzewelle. Auch in Paris, meiner nächsten Station, wurden wir noch von derselben Hitzewelle begleitet. Nach einer mehrfach ausgesprochenen Einladung war es endlich möglich gewesen, dieser auf angemessene Weise nachzukommen. Unsere Gastgeberin und regelmäßige Dhammapala Besucherin Nathalie hatte ein umfangreiches Programm geplant, allerdings auch viel Raum für spontane Eingebungen belassen. Höhepunkte waren zweifellos das Musée Gimet, der botanische Garten, ein Gong-Konzert und ein Abend mit weiteren regelmäßigen Besuchern Dhammapalas.
Von Paris aus ging es Mitte Juni direkt weiter nach Oslo und somit wieder zurück in ein klösterliches Umfeld. Die Lokuttara Vihara in der Nähe von Skiptvet südlich von Oslo wurde erst im Jahr 2015 ins Leben gerufen. Kurioserweise hatte man das Klostergrundstück gegen Ende meines letzten Besuchs in Norwegen erworben, und zwar direkt im Anschluss an einen von mir geleiteten Meditationskurs. Der diesjährige Besuch war der erste in diesem neu etablierten Kloster und der dortige Abt Ajahn Kalyano und seine vier Mitbewohner hießen mich äußerst herzlich willkommen. Um Ajahn Kalyano die Möglichkeit zu geben, eine kleine Auszeit zu nehmen, hatte ich ihm angeboten, im Kloster selbst ein Retreat anzubieten. Als Gebäude diente dazu eine alte, rostfarbene Scheune, die der vorherige Besitzer eigentlich bereits abreißen wollte, die jetzt aber als Werkstatt und Stauraum für all die Dinge dient, die im eigentlichen Klostergebäude keinen Platz finden. Zu alleroberst auf den Brettern des Heubodens befand sich der Meditationsbereich, zwar sehr rustikal, aber gut genug für eine Woche der intensiven Innenschau. Da viele der Teilnehmenden zudem zelteten und nur zwei Badezimmer für 28 Leute zur Verfügung standen, bestünde auf der physischen Ebene durchaus Grund zur Klage. Aber nichts von alldem! Auch bei 10-12° Grad während der ersten Morgenmeditation und später bei nahezu 30° während der Nachmittage blieben die Gemüter kühl und besonnen. Selbst die zahlreichen Mücken und Gnitzen hatten während der Gehmediation keine Chance, das Equilibrium der Meditierenden zu stören. Ich war von diesem gelassenen Spirit höchst beeindruckt. Auch in Norwegen gab es anschließend die Möglichkeit, die unmittelbare natürliche Umgebung zu erforschen. Auf Einladung von Maechi Lila – einer thai-norwegischen Nonne auf Zeit – verbrachten wir nach Retreatende einen wundervollen Tag in einem Nationalpark direkt an der südnorwegischen Nordseeküste. Den Abschluss meines Skandinaiven Aufenthalts bildete schließlich ein Besuch in der Nähe von Göteborg bei einem ehemaligen Dhammapala-Mönch (von 2006-2008), an den sich manche noch gern erinnern mögen: Ex-Natthiko – jetzt Björn – lebt dort relativ zurückgezogen mit seiner Frau in einem kleinen Küstenort. Es war eine echte Freude, unsere langjährige Verbindung wieder aufleben zu lassen, obwohl Björn momentan von einer degenerativen Krankheit herausgefordert wird.
Die diesjährige Vassa oder Regenzeit-Periode – vom 15. Juli bis 23. Oktober – verbringe ich übrigens im Kloster Tisarana in der kanadischen Provinz Ontario auf Einladung des dortigen Abts Ajahn Viradhammo. Ein paar Eindrücke aus dieser Zeit folgen.